Wir müssen über Genre-Zuschreibungen sprechen. Denn mal ehrlich: Gut geschüttelte Genre-Cocktails sind keine Seltenheit – siehe ein Disco Elysium, das klassische Adventure-Mechanik mit Rollenspiel-Elementen in den Mixer kippt, oder ein Pentiment, bei dem Point-and-Klickereien mit Visual Novel-Teilstücken verrührt werden. In die Genre-Gemengelage wirft Kathy Rain 2: Soothsayer jetzt eine weitere Begrifflichkeit: den Point-&-Click-Thriller.
Gelingt es der Fortsetzung zum Kultspiel Kathy Rain: A Detective is Born, im Alleingang ein neue Genre-Spielart zu definieren – oder hat Teil zwei des Retro-Abenteuerspiels solchen Marketing-Budenzauber gar nicht nötig? Immerhin hat schon vor fast zehn Jahren der Serieneinstand Klick-drauf-und-denke-dich-gegen-die-Wand-Spieler*innen überzeugt. Setzt die Weitererzählung nun diese Erfolgsgeschichte fort – oder erliegt doch dem gefürchteten Sequel-Syndrom?
Kathy Rain ist zurück – und schaltet in den Modus Operandi Alki
Filme wie Blair Witch, Speed, oder The Matrix werden bis heute als Kultklassiker gehandelt. Hingegen bei den Fortsetzungen Blair Witch 2: Book of Shadows, Speed 2: Cruise Control oder Matrix Reloaded scheiden sich die Geister – mindestens. Und bei Kathy Rain 2: Soothsayer? Beginnt der Tag für die titelgebende Protagonistin erstmal mit einem dicken Whiskey-Schädel und einem schicksalshaften Klopfen an der Bürotür.

Während wir Kathy im ersten Spiel noch als junge Journalismus-Studentin mit Punk-Attitüde kennenlernten, hat sich die gereifte (aber keinesfalls um einen kessen Spruch verlegene) Frau zwischenzeitlich zur halberfolgreichen Privatdetektivin gemausert. Denn Kathy darbt an Geldsorgen, ihre Trinkgewohnheiten sind besorgniserregenden, sie hat sich von Busenfreundin Eileen entfremdet. Da kommt der Weckruf in Form des ehemaligen Mentors Lucas Longhorn gerade recht.
Der gut gealterte Knabe erfüllt nicht nur das Klischee eines hartgesottenen Private Eyes – siehe abgetragener Trenchcoat, No-Bullshit-Mentalität und Drei-Wochen-Bart –, sondern hat auch einen brandneuen Fall im Schlepptau: Der von der Presse „Soothsayer“ getaufte Killer treibt sein Unwesen, hat jetzt sein fünftes Opfer gefordert – die bekannte Romanautorin Debra Sinclair. Dieser Serienkiller macht also auch vor Promis keinen Halt – und so nimmt Kathy Rain die Ermittlung auf …
Klick‘ mich rund und nenn‘ mich Kathy
Bevor ich mit Kathy Rain in den Moloch von Kassidy City hinabsteige, lasst uns die Lupe auf das Gameplay richten. Erstmal: Kathy Rain 2: Soothsayer ist ein Point-and-Click-Adventure klassischer Bauart. Punkt. Wer darauf hofft, Indie-Developer Clifftop Games würde die Gameplay-Mechaniken des Genres revolutionieren, wird enttäuscht. Wie schon der Serienstart, setzt die Fortsetzung auf die altbewährte, kontextsensitive Maussteuerung bekannt aus (fast) allen Point-and-Click-Adventures.
Mehr als nur Klicken im Ohr: Der Score von Komponist Daniel Kobylarz ist ein echter Ohrenschmeichler:
Auch erlauben sich die Macher*innen (Gottseidank!) keine Rückgriffe auf antiquierte Verben-Systeme, um dem Retro-Charme die Pixelkrone aufzusetzen (Jawohl, du warst gemeint, Thimbleweed Park!). Es gibt zudem kein aufploppendes Radialmenü, aus dem dann etwa wie bei The Whispered World oder The Curse of Monkey Island unterschiedliche Aktionen ausgewählt werden. Beim zweiten Kathy Rain geht’s unkompliziert mittels Linksklick zur Sache – und damit hat sich’s auch fast schon.

Die Betonung liegt auf „fast“, denn: Wie sich das für eine Spürnase von altem Schrot und Korn gehört, führt Kathy stets einen Notizblock mit sich, wo sie für die Lösung des Falls relevante Namen und Örtlichkeiten notiert – zudem listet eine gesonderte Seite eine To-Do-Liste. Die holt euch jederzeit dazu ab, was als nächstes zu tun ist.
Muss ich den ersten Teil gespielt haben? Selber habe ich damals den 2021 erschienen, wirklich empfehlenswerten Director’s Cut gespielt – und kann ihn jeder und jedem nur empfehlen. Denn, ja, die Handlung des Sequels ist eng mit der des Vorgängers verzahnt. Wer möchte, lässt sich das Original in der Gänze von Kathy Rain Sprecherin Arielle Siegel (Old Skies, Inside Amy Schumer) im Hauptmenü von Teil zwei nacherzählen, hat dann die handlungsrelevanten Informationen parat.
Eingedenk des Hotspot-Features, und weiteren zeitgemäßen Komfortfunktionen (Kathy gibt stellenweise gesprochene Hinweise, sobald ihr wiederholt an bestimmten Stellen scheitert), nimmt sich Clifftop Games dankenswerterweise kein Vorbild an der Adventure-Denkschule „Nur Pixelhunting und wildes Rumprobieren führt zur Lösung!“. Aber weg von der Form zurück zum Inhalt – und damit den fünf brutalen Morden in diesem Pixel-Paradies auf die Schliche gekommen …