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Nach fast 10 Jahren und 4 Nachfolgern: Fans von Life is Strange feiern jetzt eine legendäre Frau – und sind zugleich schmerzlich betrübt

Als ich damals Life is Strange anschmiss, waren die Computerspiele und ich geschiedene Leute. Dann haben mich Max, Cloe und Rachel gepackt.

Links im Bild: Die fiktive Figur aus den Computerspielen der Life is Strange-Reihe. Recht daneben: ein zerbrochenes Herz.
© Square Enix, Feral Interactive, Deck Nine, Adobe Stock /@sripfoto, bearbeitet mit Photoshop

Die ersten zehn Minuten

Alice hat in der ersten Episode "Erwachen" des Adventures Life is Strange: Before the Storm Momente mit der rebellischen Chloe verbracht.

Ich mache keinen Hehl daraus: Als der französische Developer Don’t Nod vor bald zehn Jahren einen Film zum Mitspielen namens Life is Strange auf den Gaming-Markt geworfen hat, war an mir längst ein aktiver Gamer verloren gegangen. Nachdem ich als Teenager und junger Erwachsener gefühlt alles durchgespielt hatte, was das Kulturerzeugnis Videospiele hergibt, oder zumindest solche narrativen Glanzstunden wie Gothic, Outcast oder Max Payne 2: The Fall of Max Payne, hatte ich Games als Erwachsener gänzlich aus meiner Freizeitgestaltung gestrichen.

Ums Jahr 2018 herum muss der Schicksalstag gewesen sein, als ich, durch einen Elektronikfachmarkt schlendernd, eine mit Hammerpreis-Sticker versehene DVD-Hülle eines Spiels mit Titel Life is Strange aufgelesen – und den heimischen Rechenknecht mit der Silberscheibe gefüttert habe. Sofort war ich gefesselt von der abgedrehten Zeitreise-Geschichte rund um die Fotografiestudentin Max Caulfield und ihre unangepasste Freundin Chloe Price.

Alles Gute zum Geburtstag, Rachel Amber!

Mehrere Fortsetzungen, ein Prequel, eine Comic-Serie und einige offizielle Lizenz-Romane später, steht uns mit Double Exposure am 15. Oktober die direkte Fortsetzung zum Originalwerk bevor. Mein persönlicher Blick zurück aufs Original: Neben den beiden besten Freundinnen Max und Chloe waberte durch das narrative Gerüst des preisgekrönten und von Kritiker*innen gefeierten Life is Strange stets ein Name: Rachel Amber – eine Mitschülerin unserer Heldinnen, die irgendwann einfach verschwunden ist.

Mal ehrlich: Bei allem erzählerischen Budenzauber, der die hopsgegangene Amber umgibt, war die intensiv-ehrliche Freundschaft zwischen Chloe und Max stets näher an meinem Herzen gebaut – bis ich zum Jahreswechsel endlich die Vorgeschichte Before the Storm nachgeholt, damit letzten Endes gerallt haben, welchen Stellenwert die Vorzeigeschülerin und Staatsanwaltstochter im (Liebes)leben des Sorgenkinds Chloe Price einnahm.

Im Bild: Die fiktionale Figur Rachel Amber in einer Spielszene aus dem Videospiel Life is Strange: Before the Storm.
Auf den Brettern, die die Welt bedeuten, ist Rachel Amber mehr als das, was Theatermann René Pollesch mal als authentische Kuh bezeichnet hat. Credit: Square Enix, Feral Interactive, Deck Nine

Jüngst bin ich dann beim virtuellen Spaziergang über den Thread „Alles Gute zum Geburtstag Rachel Amber! Sie wird heute 30!“ von Reddit-Nutzerin nicefield gestolpert – und war gehörig verdutzt. Nicht nur, weil die Fan-Favoritin ihr 30-zigstes Wiegenfest begeht, sondern weil … aber um neue Spieler*innen nicht zu spoilern und da Kenner*innen der Life is Strange-Reihe ohnehin wissen, worauf ich hinauswill, schweige ich mich in dieser Stelle über bestimmte Wendepunkte in dem interaktiven Grafik-Adeventure aus.

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Wie die Figur Rachel Amber für mich funktioniert hat …

Und trotzdem: Die Analyselupe auf die gute Rachel Amber gerichtet, gibt den Blick frei darauf, was Life is Strange zu einem Unikat gemacht hat – und was Deck Nine für das Sequel Double Exposure unbedingt miteinbeziehen sollte.

Ohne die Story des ersten Life is Strange von A wie Arcadia Bay bis Z wie Zachary Riggins durchzubuchstabieren, möchte ich auf emotionalem Level nachzeichnen, wie mich insbesondere eine Rachel Ambers wegblasen konnte. Gerade dadurch, wie Amber im Prequel Before the Storm porträtiert wird, illustriert diese fiktive Figur für mich, wie vielschichtig wir als Menschen doch sind.

Klar, unser Reptiliengehirn verleitet dazu, vor allem Mitmenschen in Sekundenbruchteilen nach Freund oder Feind zu unterteilen – aber jenseits eines solchen dem Überleben förderlichen Schubladendenkens, ist ein jeder Mensch natürlich ein komplexes Individuum. Nicht nur das eine (Feind) oder das andere (Freund).

Szenenbild aus dem Videospiel Life is Strange: Before the Storm
Trautes Heim, Glück allein? Bei Rachel zu Hause am Esstisch, mit Mom und Pops, kracht es. Credit: Square Enix, Feral Interactive, Deck Nine

… und was das mit Masken zu tun hat

Sicher, an der sichtbaren Oberfläche flattert der soziale Schmetterling Rachel Amber durch die verschiedensten Cliquen der Blackwell Academy, brilliert bei einer Schulaufführung von William Shakespeares Der Sturm, ist mit dem Aussehen einer Schönheitskönigin gesegnet, aber unter der Theatermaske, die wir alle im Alltag aufhaben, steckt eine brüchige Persönlichkeit, ringend mit ihrer defizitären Familiengeschichte und ihren jugendlichen Ambitionen, als Star in Los Angeles zu reüssieren.

Kurz und knapp auf den Punkt gebracht: Wie intensiv ich, von meiner Seite des Bildschirms gesehen, auf einer parasozialen Ebene miterleben durfte, wie die mir ans Herz gewachsene in Chloe Price in Before the Storm nicht nur vor familiären, schulischen und psychischen Herausforderungen steht, daneben auch noch an die irgendwie toxische Rachel Amber gerät, war für mich besserer Tränendrüsendrücker, als „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“, „Verbotene Liebe“ und „Viel Lärm um nichts“ (wieder Shakespeare!) zusammengenommen.

Spielszene aus dem Commputerspiel Life is Strange: Before the Storm
Gehört zu jedem vernünftigem Life is Strange dazu: (Melo)dramatische Szenen mit Taschentuch-Faktor. Credit: Square Enix, Feral Interactive, Deck Nine

Was Deck Nine von Rachel Amber lernen kann

Und damit will ich mit Blick auf das kommende Double Exposure den Sack zumachen. Auf der einen Seite bekomme ich in Anbetracht von Toxizität, Hassrede, Crunch-Kultur und anderen, verdammt unschönen Brandherden bei Deck Nine direkt Zustände. Auf der anderen Seite freue ich mich schlicht auf ein neues Life is Strange.

Hintergrund übrigens zum Developer-Wirrwarr: Das Original Life is Strange (2015) und die indirekte Fortsetzung Life is Strange 2 (2018) sind bei Don’t Nod entstanden. Am Prequel Before the Storm (2017) und am Life is Strange-Kosmos weiterdenkendem True Colors (2021) schraubte Deck Nine – und jetzt auch am direkten Sequel Double Exposure (2024).

Trotz aller internen Kalamitäten bei Deck Nine hofft mein Fan-Herz darauf, dass federführende Autorinnen wie Felice Kuan oder Game Director Jonathan Stauder ihr Know-how in Sachen Storytelling voll ausschöpfen – und meinetwegen auch sehr gerne mit dem narrativen Vorschlaghammer auf die Tränendrüse einprügeln. Schlussendlich sorgt der Trailer zu Double Exposure für Vorfreude.

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Rachel Amber und Don’t Nod haben mich vor nicht zu wenigen Jahren für einen lässigen Zehneuroschein zurück in die wunderbare Welt der Videospiele katapultiert – mehr als eine Dekade, nachdem ich gedacht hatte, mit dem namenlosen Helden, Max Payne und Mona Sax hätte ich den Gaming-Gipfel erklommen. Aber dann sprach plötzlich jede*r von Rachel Amber. Deshalb ein herzliches: „Happy Birthday, Rachel!“ Apropos: Weniger herzlich sind die Gefühle, die für manch einen die diskutablen Marketing-Tricks rund um die Ultimate Edition von Double Exposure auslösen.

Quellen: Reddit /@nicefield; The Gamer; IGN; Twitter /@felicekuan, @literalpumpkin, @LifeIsStrange; Life is Strange Wiki

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