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Vampyr (Rollenspiel) – Kämpfe, Bisse, Dialoge

Anfang 2015 kündigte der französische Entwickler Dontnod (Remember Me, Life Is Strange) an, dass er an einem Action-Rollenspiel über Vampire arbeiten würde – knapp drei Jahre später ist Vampyr für PC, PS4 und Xbox One erhältlich. Und die Vorfreude auf die Blutsauger ist groß: Vielleicht kann das im London des Jahres 1918 spielende Abenteuer ja sogar die große Lücke füllen, die der Klassiker Vampire: Die Maskerade – Bloodlines seit 2004 hinterlassen hat?

© Dontnod Studio / Focus Home Interactive

Fragen über Fragen

Einige künstlich wirkende Zufälle werden erklärt, die gespenstisch leeren Gassen sind aufgrund der Seuche verständlich: Es herrscht Quarantäne, es gibt Ausgangssperren und Bürgerwehren ziehen umher, um vermeintliche Vampire zu töten. Die Atmosphäre ist englisch gediegen, aber es riecht bereits nach Verfall und Endzeit. Schön ist auch, dass man seinen Vampirsinn auch mal einsetzen muss, um blutige Spuren zu verfolgen, Opfer zu untersuchen sowie Mörder zu finden – was jedoch immer nach Schema F abläuft, ohne dass man mal selbst nachdenken muss. Trotzdem wird man immer neugieriger. Zum einen hört Jonathan ja diese seltsame Stimme und will natürlich wissen, was er als Vampir für ein Wesen ist – wo kommen sie her, was sind Skals und Ekons? Dontnod hat auch einige klassische Facetten des Vampirmythos recherchiert, aber bindet diese nicht aktiv in die Erzählung ein, sondern archiviert sie als „Sammelobjekte“ irgendwo im Menü, wo man sie bei viel zu kleiner Schrift (es gibt drei Größen, aber selbst die Maximalstufe ist zu mickrig mit Abstand auf großen Fernsehern) lesen soll – schade. Warum kann man nicht mal aus der Lektüre ein Rätsel machen? Oder den lesenden Spieler mit einer Quest oder einer Lösung belohnen? Interessant für Jonathan bleibt natürlich, wer ihn eigentlich erschaffen hat. Diesem Unbekannten schwört er Rache, zumal er ihn für den Tod an seiner Schwester verantwortlich macht.

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Die Dialoge sind ein Highlight des Abenteuers. Allerdings erreichen sie hinsichtlich Mimik, Gestik sowie Lippensynchronität nur solides Niveau. © 4P/Screenshot

Leider führt die Regie gerade dieses psychologisch interessante Leitmotiv der fremden Stimme nicht konsequent fort, denn sie verstummt manchmal für viel zu lange Zeit und es gibt lediglich einige surreale Erscheinungen; da hätte man à la The Darkness für deutlich mehr Konflikte und Überraschungen sorgen können! Wertvolle Antworten liefert ihm immerhin sein neuer Chef, denn Dr. Swansea kennt sich mit den Blutsaugern aus. Warum eigentlich? Wird Jonathan nur benutzt? Dieser Gönner ex machina bekämpft in seinem Krankenhaus die mysteriöse Seuche, die London gerade in einen endzeitlichen Zustand versetzt. Eines der Hauptziele ist es, diese Epidemie einzudämmen. Dafür muss Jonathan nicht nur kämpfen, sondern auch sehr viel recherchieren, indem er mit Patienten und Bürgern spricht – die verbergen so einige Geheimnisse. Und hier demonstriert Dontnod endlich seine große Stärke und lässt mehr Rollenspiel beginnen!

Life Is Evil

Auch wenn Mimik und Gestik im Vergleich zu God of War oder Detroit: Become Human sehr steif wirken: Es macht richtig Spaß, sich mit den Leuten zu unterhalten! Man behält diese Charaktere mit ihren Geschichten viel länger in Erinnerung als gewöhnliche NSC. Das liegt daran, dass sie nicht sofort zu durchschauen sind, dass die Gespräche mit ihrer Entwicklung von der anfänglichen Distanz bis zur Vertrautheit natürlich wirken und überraschende Wendungen nehmen können – hier zeigt sich die Expertise der Macher von Life Is Strange. Je nach sozialer Herkunft reagieren sie ganz anders auf diesen neugierigen Doktor Read in seinem schicken

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Je nach Herkunft reagieren die Leute anders auf Jonathan. Außerdem bergen sie biografische Geheimnisse, die es zu finden gilt. © 4P/Screenshot

Anzug, den manche noch von früher kennen. Man sollte also gut zuhören, denn man wird auch mit Gegenfragen auf die moralische Probe gestellt. Und wenn man „falsch“ antwortet, kann man schonmal in einer Sackgasse landen, herrlich pampige Reaktionen hervorrufen oder Hinweise werden glatt gestrichen. Die Aufmerksamkeit wird allerdings auch ein wenig erzwungen, weil man keinen Spielstand vor einem Gespräch laden kann – es wird lediglich automatisch gespeichert.

Jeder Bürger vom Malocher bis zum Snob, vom Kommunisten bis zum Rassisten, von der Mutter bis zum Waisenkind, ist auch ein kleines biographisches Rätsel, das es zu entschlüsseln gilt – im Verborgenen lauern Liebe, Hass, Verrat, Gewalt, Psychosen und Exzesse. Da streiten Ärzte um das Operationsrecht oder vertuschen ihre Pfuschereien, Mütter decken ihre mordenden Söhne  und es gibt köstliche Szenen, wenn Möchtegern-Vampirjäger oder eingebildete Vampire mit ihrer Psychose nicht wissen, wen sie da eigentlich vor sich haben. Neben dem Ersten Weltkrieg, der Armut und Dekadenz werden auch Homosexualität, Frauenwahlrecht & Co thematisiert.

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Hurra, die Seuche im Pembroke Hospital wurde erfolgreich bekämpft! © 4P/Screenshot

Man kann den Storywritern höchstens „vorwerfen“, dass sie nahezu alle denkbaren menschlichen, sozialen und politischen Konflikte thematisieren, so dass man sie in einem Katalog abhaken kann. Zwar gibt es immer die beiden recht statischen Eingangsfragen nach der Lage in der Stadt sowie dem persönlichen Befinden, so dass auf Dauer eine gewisse Routine entsteht, aber danach öffnen sich die Dialoge und einfaches Durchklicken reicht nicht aus, zumal wichtige Stichpunkte zunächst gar nicht vorhanden sind. Manche ergeben sich aus dem Gesprächsverlauf, wenn man sich in die Charaktere hinein denkt, manchmal muss man aber erst irgendwo Leute belauschen – eine der wenigen subtilen Einsatzmöglichkeiten des Vampirsinns! – , die andere Partei befragen oder ein Tagebuch finden oder Leichen untersuchen, um im anschließenden Dialog wieder neue Argumente zu haben. Sehr schön wird zudem die Vampirfähigkeit der erzwungenen Antwort inszeniert, in der Jonathans Stimme eine übernatürliche Kraft gewinnt. Und damit kommen wir zur dunklen Seite seiner Macht.

Kommentare

126 Kommentare

  1. Das mit dem Looten hält sich bei Vampyr echt noch in Grenzen. Ja, es gibt keinerlei Konsequenzen für Diebstahl, aber das ist in Cyberpunk genauso, nur mit dem Unterschied, dass es hier noch viel, viel mehr Loot gibt. Teilweise wirklich so viel, dass man nach einem Kampf nochmal 2-3 Minuten investieren muss, nur um Alles abzugrasen. Bei Cyberpunk scheint das aber Alles nicht so schlimm gewesen zu sein.
    Auch das Upgraden der Waffen und die Herstellung von Tränken nimmt nicht wirklich viel Zeit in Anspruch, man findet erst garnicht genug Materialien um hier viel Zeit rein stecken zu können, selbst wenn man Alles mitgehen lässt. Zeitfresser sind in Vampyr da eher die Dialoge und die Laufwege zu den NPCs um ihnen Medizin zu geben, sofern man imer Alle gesund halten will.

  2. Ich frag mich warum ich dafür überhaupt zahlen musste. Angeblich waren Vampyr und NFS Payback nämlich letztes Jahr Oktober im PS Plus. Und ich hab immer ein Jahresabo. Dass ich Payback nicht habe wird daran liegen das es mir selbst geschenkt zu teuer ist, ich meine Bibliothek nicht mit uninteressanten Spielen zumüllen will, aber warum fehlt mir Vampyr?
    Andromeda geht so.Wenn du mit DA den letzten Ableger meinst, da hab ich nach 10 Stunden das Handtuch geworfen und war froh nur 10 Euro bezahlt zu haben. Gameplay und Questdesign aus der MMO Hölle.

  3. PlayerDeluxe hat geschrieben: 25.10.2021 08:50
    Xris hat geschrieben: 24.10.2021 13:28 und es gibt auch keine nachlade Situationen innerhalb der Gebiete.
    Oh ja, das war auch immer fies auf der PS4. Mochte das Spiel prinzipiell sehr gerne. Tolles Setting. Technisch halt nicht ausgereift auf der Last-Gen-Hardware.
    Läuft jetzt auf der PS5 zu 99,9% sauber. :)
    Ich werd das Gefühl nicht los das Jörg da echt 10% abgezogen hat weil er sich am ungestraften Looten und generell an der Notwendigkeit das zu tun gestört hat. Denn davon abgesehen ist das Kampfsystem solide, macht Spaß. Die Dialoge unterhaltsam, die Story bis jetzt jetzt für mich nicht vorhersehbar. Und die Auswirkungen auf das eigene handeln… ich hab mir Whitechapel ruiniert… weil nicht über die Auswirkungen meiner Entscheidung nachgedacht. Es ist’s erfrischend das dieses Spiel nicht wie ein Mass Efect einen böse, gut Balken hat, sondern die eigenen Handlungen tatsächlich Auswirkungen haben und man zuallererst mit sich selbst seine Entscheidungen ausmachen muss.
    Also wer grundsätzlich daran Interesse hat - für 10 Euro aktuell im PSN kann man nicht viel falsch machen.

  4. Xris hat geschrieben: 24.10.2021 13:28 und es gibt auch keine nachlade Situationen innerhalb der Gebiete.
    Oh ja, das war auch immer fies auf der PS4. Mochte das Spiel prinzipiell sehr gerne. Tolles Setting. Technisch halt nicht ausgereift auf der Last-Gen-Hardware.

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